Was ihre Karriere anbelangt, sind Marc Jurczyk und Maurice Schmidt trotz etlicher Medaillen noch junges Gemüse. Im Hinblick auf Ehrungen und Empfänge sind der Bahnradfahrer und der Rollstuhlfechter aber schon alte Hasen. Denn bei solchen Anlässen kann man die beiden als Stammgäste bezeichnen. Am Donnerstag (9. Okt) war es unabhängig voneinander wieder soweit.
Artikel von Michael Schwartz – Kreiszeitung Böblingen vom 11.10.2014.
Mit der ganzen Familie zum Empfang bei OB Wolfgang Lützner (2. v. re.): Marc Jurczyk (vorne) trägt sich ins Goldene Buch der Stadt ein – Trainer Hans Lutz (li.) durfte bereits 1976 nur wenige Seiten vor seinem Schützling unterschreiben; KRZ-Fotos: Thomas Bischof
Während sich Marc Jurczyk von der RSG Böblingen nach seiner U19-WM-Silbermedaille bei Oberbürgermeister Wolfgang Lützner ins Goldene Buch der Stadt eintragen durfte, bekam Maurice Schmidt von der Fechtabteilung der SVB einen Ehrenabend anlässlich zweier Kadetten-WM-Bronzemedaillen spendiert.
„Insgesamt hab‘ ich den Überblick schon verloren“, zuckt Marc Jurczyk mit den Schultern, wenn man ihn fragt, wie oft er denn schon ins Amtszimmer eines Gemeindeoberhaupts eingeladen wurde. Denn neben der Stadt, für deren Radverein er fährt, ist der Altdorfer auch regelmäßig daheim bei Schultes Erwin Heller zu Gast. „Aber in einem Schriftzug mit einem Olympiasieger zu stehen, ist noch einmal eine ganz andere Nummer.“ Was er damit meinte? Nur wenige Seiten vor der mit seiner Signatur steht auch die seines Trainers Hans Lutz im Goldenen Buch. Der gewann 1976 mit dem Vierer in Montreal. Wie wenige Blätter trotz 38 Jahren zwischen den beiden Unterschriften liegen, zeigt, wie groß die Ehre wirklich ist.
Dass er sich hier verewigen durfte, war für den 18-Jährigen selbst eine Überraschung. „In der Mail-Einladung war nur der Empfang erwähnt“, erzählte er, während seine Familie stolz zuschaute. Mama, Papa, Oma, Schwester, Freundin – alle waren sie dabei. Auch RSG-Präsident Günter Becker sowie Ehrenpräsident Volker Derichsweiler und natürlich Hans Lutz freuten sich mit dem Gymnasiasten. Seit Jurczyk 2009 zum ersten Mal in Altdorf empfangen wurde, hat er sich verändert. Aus dem zurückhaltenden Teenager ist ein selbstbewusster junger Mann geworden. Und der plauderte locker mit OB Lützner über seine Silbermedaille im Madison bei der U19-Weltmeisterschaft in Seoul. Berichtete von Durchschnittsgeschwindigkeiten um die 45 Stundenkilometer und Topspeed bis zu 60 km/h. Erzählte von den schwierigen klimatischen Bedingungen in Korea, dem Velodrom für 30000 Zuschauer und den kurzfristigen Regeländerungen in seiner Spezialdisziplin Omnium. So lange, bis der Oberbürgermeister zum nächsten Termin musste.
Da blieb nicht mal Zeit, die fünf Medaillen bei der deutschen Meisterschaft in Cottbus anzuschneiden. Nach diesem Erfolg in diversen Disziplinen will sich Marc Jurczyk jetzt auf Sprint konzentrieren. „Das liegt mir mehr und macht Spaß“, sagt er. „Sprinter muss man sein, Ausdauerfahrer muss man werden.“ Die Trainingseinheiten in diesem Bereich sehen anders aus – kürzer und weniger. um genau zu sein. Was dem 18-Jährigen entgegenkommt. Schließlich macht er im März 2015 sein Abitur. „So kann ich mich abends nach dem Lernen noch schnell im Kraftraum auspowern und dann schlafen gehen“, erklärt er. „Das ist was anderes, als 450 Kilometer in der Woche fahren zu müssen.“
„Eine deutsche Meisterschaft ist groß, aber eine WM noch größer“
Trotz Nervosität zweimal Bronze: Maurice Schmidt
Im Goldenen Buch steht Maurice Schmidt (noch?) nicht. Dafür hatte der Aidlinger in Diensten der SV Böblingen fast noch mehr Gratulanten. Vertreter von Abteilung, Verein, Stadt und Bürgerstiftung waren dabei, außerdem noch Ekkehard Fauth in einer Doppelfunktion als Bürgermeister der Heimatgemeinde des 15-Jährigen und Sportkreispräsident. Und wer ein Geschenk dabei hatte, der übergab dem Rollifechter ganz kreativ ein Handtuch. Drei Frottee-Präsente waren es insgesamt. Schließlich schwitzt man beim Sport ja ganz viel. Aber was zählt, ist wohl eher die Geste der Anerkennung. „Wir sind saumäßig stolz auf dich“, freute sich Fauth mit Maurice Schmidt. „Du bist jetzt eines der Aushängeschilder Aidlingens. Zwei Medaillen bei einer WM sind nicht alltäglich.“ Dem stimmte Abteilungsleiterin Tanja Höfele zu: „Eine tolle Leistung. Das war nicht einfach.“
Der geehrte Gymnasiast lächelte und erzählte dann von seinem Weltmeisterschaftserfahrungen. „Es waren ziemlich viele Leute auf sehr engem Raum da“, beschrieb er die Atmosphäre im Konferenzraum eines Warschauer Hotels. „Eine deutsche Meisterschaft ist ja schon groß. Aber eine WM ist noch größer.“ Die Zuschauer direkt an der Fechtbahn hätten sehr gute Stimmung gemacht und „schwer gefeiert bei Treffern“. Dieses ungewohnte Bild habe ihn schon ein bisschen irritiert. „Im Degen war ich auch zu nervös, um ins Finale zu kommen“, gab er ehrlich zu. „Ich bin aber sehr zufrieden mit mir. Seit der EM im Juni habe ich mich stark verbessert.“ Und wie geht es jetzt bei ihm weiter? Das nächste große Ziel ist die deutsche Meisterschaft 2015. Davor bestreitet er noch einige Challenge-Turniere, bei denen Rollstuhlfechter gegen Fußgänger antreten.
Artikel ursprünglich erschienen in der Böblinger Kreiszeitung vom 11. Oktober 2014. Dank an die Redaktion für die Zustimmung zur Veröffentlichung auf der RSG Web-Seite.